Die Molekularküche ist im Grunde das einzige Schicksal, das Gargut widerfahren kann, denn „Kochen war einfach immer schon molekular – erst jetzt ist es uns aber bewusst geworden!“ meint Matthias Kleber, Küchenchef
Die Molekularküche oder Molekulargastronomie befasst sich mit den physikalisch-chemischen Prozessen, die bei der Zubereitung von Speisen und Getränken ablaufen.
Genau genommen betrachtet die Molekulargastronomie das Kochen naturwissenschaftlich. Sie erforscht die Fragen des Kochens mit wissenschaftlichen Methoden. Die molekulare Küche verwendet dagegen diese Forschungsergebnisse mit dem Ziel, neue Gerichte und außergewöhnliche Geschmackserlebnisse zu schaffen.
Die Molekularküche spricht weniger den Magen an als den Kopf. Sie verbindet bekannte Zutaten und bekannte Strukturen zu neuartigen Kombinationen und schafft dadurch einzigartige kulinarische Sinneserlebnisse.
Der Koch wird zum Künstler. Was für den Maler Farben und Licht sind, ist für den Molekularkoch Aroma und Struktur. Die molekulare Küche serviert heiße Suppe eben mal als Würfel auf einem Tablett.
Ein klassisches Rezept aus der Molekularküche ist „fake caviar“. Für die Herstellung von künstlichem Kaviar benötigt man eine Flüssigkeit, die mit einem so genannten Texturgeber, in diesem Fall Alginat, versetzt wird. Diese wird tropfenweise in ein calciumhaltiges Bad getropft und die Tropfen gelieren in Sekundenschnelle von außen nach innen, so dass sich feine Gelkügelchen mit flüssigem Kern bilden. Erst wenn man sie zwischen Zunge und Gaumen zerdrückt wird der Geschmack freigesetzt.
Molekularküche – bekannte Zutaten in unbekannter Form
In der Molekularküche serviert man eben nicht Braten mit Kraut. Hier kommt eher Sous vide Gegartes mit Rotkohlkaviar auf den Tisch. Man verarbeitet das Gargut zu neuen Formen, produziert Gele, Schäume oder Sphären.
Gele sind aus dem Küchenalltag lange bekannt. Die molekulare Küche verwendet allerdings statt Gelatine neuartige Geliermittel, wie sie auch in der Lebensmittelindustrie zum Einsatz kommen.
Auch Schäume werden gerne serviert. Träume sind auch Schäume. Will meinen: Schäume sind vergänglich. Nicht so in der molekularen Küche. Hier geht es darum, Schäume mit Hilfe eines Texturgebers möglichst stabil auf den Teller zu bringen. Man kombiniert so das Mundgefühl eines Schaumes mit dem Geschmack von Lebensmitteln, die einem in dieser Form noch nicht begegnet sind. Das ist der Kick.
Sphären sind kleine Kügelchen in denen ein flüssiger Kern von einem Gel eingeschlossen ist. Als Grundstoffe dienen dabei Lebensmittel, die man bisher so eben nicht verarbeitet hat und die dadurch ganz neue kulinarische Erlebnisse liefern. Etwa der berühmte fake Caviar.
Geräte und Zubehör in der Molekularküche
Die Chemie spielt eine nicht unwesentliche Rolle in der molekularen Küche. Deswegen benötigt man gelegentlich auch Gerätschaften, die in einer „normalen“ Küche nicht vorhanden sind, wie Spritzen, Schläuche, Pipetten, Strukturgeber, Schlitzlöffel, Bunsenbrenner oder Wasserbad.
Für Einsteiger empfiehlt es sich, ein Starterset* anzuschaffen, das alle erforderlichen Utensilien und Zutaten enthält. Ohne Know-how geht gar nichts. Deswegen ist auch gute, fundierte Information ein Muss. Dazu gibt es spezielle Kochbücher, die sowohl Rezepte enthalten als diese auch wissenschaftlich erklären, was passiert und warum man es genau so machen muss. Kochen für Angeber* von Thomas Vilgis ist der Toptipp unter den Fachkochbüchern und begeistert mit interessanten Rezepten, verständlich und mit tollen Fotos.
Texturgeber
Ohne Texturgeber läuft in der molekularen Küche gar nichts.
Texturgeber sind Zusatzstoffe, die in der Molekularküche zugesetzt werden, um die physische Beschaffenheit der Speise zu verändern. Das kann alles Mögliche von Xanthan bis Alginat sein. Man kennt sie in erster Linie als E-Nummern auf den Produkten der Lebensmittelindustrie, wo sie seit Jahren eingesetzt werden.
Die Texturgeber selbst sind gesundheitlich absolut unbedenklich. Bedenklich ist nur, dass sie in der Lebensmittelindustrie eingesetzt werden, um minderwertige Produkte zu verbessern oder Rohstoffe zu sparen. In der Molekularküche dagegen lassen durch ihre besonderen biochemischen Eigenschaften sie aus hochwertigen Zutaten kulinarische Höchstgenüsse entstehen.
Die meisten Texturgeber sind Hydrokolloide. Sie verteilen sich in Wasser als feine Tröpfchen oder Teilchen. Man könnte sie auch Verdickungsmittel nennen. Texturgeber kommen in der Molekularküche bei der Zubereitung von Gelen, Kugeln (Sphärifikation) oder Schäumen zum Einsatz.
Auch Sous-Vide-Garen und Cryo Cooking gehören zur Molekularküche. Cryo Cooking, das Kochen mit flüssigem Stickstoff ist zwar spektakulär, aber auch gefährlich, denn flüssiger Stickstoff ist sehr kalt. Der Umgang damit erfordert deswegen ein ordentliches Maß an Sachkunde und Schutzkleidung. Sous vide Garen ist dagegen so alltäglich, dass man es eher zur Molekulargastronomie zählen müsste.
Molekulargastronomie
Alle Speisen, jegliches Gargut besteht aus Molekülen, die sich nach Naturgesetzen verhalten und chemisch oder physikalisch reagieren, während sie unsere Töpfe und Pfannen passieren. Versteht man die molekularen Abläufe, dann kann man die herkömmlichen Methoden optimieren.
Hervé This vermittelt uns die Welt der Molekulargastronomie in seinen Büchern Rätsel und Geheimnisse der Kochkunst * oder Kulinarische Geheimnisse *. Sie sind sehr bodenständig ist, denn man muss ja nur bei der Zubereitung der Speisen die Naturgesetze berücksichtigen.
Weil aber nicht nur Gargut, sondern im Prinzip die ganze Welt aus Molekülen besteht, ist der Begriff Molekularküche umstritten. Im fremdsprachigen Raum ist die Molekularküche daher unter den Begriffen modernist cuisine (moderne Küche), culinary physics (Physik der Kochkunst) oder experimental cuisine (experimentelle Kochkunst) bekannt.
Viele Spitzenköche und Stars der Molekularküche sind in Wirklichkeit Naturwissenschaftler, Physiker wie Nicholas Kurti oder Chemiker wie Hervé This. Kurti gilt als der Urheber der Molekularküche. This prägte den Begriff der Molekulargastronomie. Er ist Autor mehrerer Bücher, die zum Teil ganz bodenständig die wissenschaftlichen Hintergründe des ganz normalen Küchenalltags vermitteln. Das Resultat ist, dass man nach der Lektüre souverän mit zum Beispiel Eidotter und Pflanzenöl umzugehen weiß und einem die Mayonnaise praktisch von alleine in den Mixbecher springt.
Molekulargastronomie im Alltag
Molekulargastronomie im Alltag, das bedeutet zum Beispiel, den Unterschied zwischen Blaukraut und Rotkohl zu verstehen. Im Norden liebt man Rotkohl, im Süden gehört Blaukraut auf den Teller. Es handelt sich um dasselbe Gemüse, das sich nur in der Farbe unterscheidet, für die der Pflanzenfarbstoff Anthocyan verantwortlich ist. Der kann tatsächlich in allen Farben schillern. Es kommt nur auf den pH-Wert der Umgebung an. Die Nordlichter geben Zitronensaft zum Blaukraut und ihr Kohl verfärbt sich rot. Im Süden würzt man mit Soda, das ist basisch, der pH steigt und der Kohl wird zu Blaukraut.
Dazu gibt es bestimmt einen saftigen Braten. Der hat eine braune, aromatische Kruste, die durch die Maillard Reaktion entstanden ist. Bei der Maillard Reaktion reagieren Aminosäuren, die Bausteine der Proteine, und Zucker miteinander und bilden in der Folge verschiedene geschmacksintensive, aroma- und farbgebende Verbindungen.
Für die Chemie-Freaks:
Die Maillard Reaktion findet beim Erhitzen von eiweiß- und zuckerhaltigem Gargut ab etwa 140°C statt. Unter Abspaltung von Wasser reagieren die Aminogruppen aus den Proteinen mit dem Zucker und bilden zunächst eine Schiff’sche Base, die in mehreren weiteren Reaktionen noch umgelagert wird. Als Endergebnis entsteht eine Vielzahl von Farb- und Aromastoffen, wie nach Karamell oder Röstaromen.
Damit die Maillard Reaktion ablaufen kann, benötigt man wasserfreie Hitze, wie sie beim Steak braten, Brot Backen oder Grillen vorhanden ist. Im Wasser wird das Gargut dagegen einfach nicht heiß genug.
Am nächsten Tag warten vielleicht noch kalter Braten mit Mayonnaise. Mayonnaise ist eine Emulsion aus Öl und Wasser, dem man einen Emulgator zusetzt, damit sich sogenannte Micellen bilden, die Wasser und Fett miteinander verbinden. Es wirkt sich sehr positiv auf das Ergebnis aus, wenn man weiß und berücksichtigt, welche Faktoren die Micellenbildung begünstigen. Um Mayonnaise zu machen, genügt es eben nicht, mit Eidotter und Öl zu hantieren.