Dezember 4, 2024
Lebensmittelverpackungen enthalten endokrine Disruptoren

Endokrine Disruptoren auf dem Teller – na Mahlzeit!

Ich reiß meine Würstchen aus der Folie und schmeiß sie in die Teflonpfanne, öffne genüsslich ein Fläschchen alkoholfreies Weizen aus dem Discounter – und dann verputz ich das alles, weil ich wieder nicht auf dem Schirm habe, dass hier nicht nur Würstchen brutzeln und Bier gluckert, sondern auch eine Menge endokrine Disruptoren. Da bleibt’s mir doch gleich im Hals stecken.

Was sind endokrine Disruptoren?

Endokrine Disruptoren sind Substanzen, die in den Hormonstoffwechsel von Säugetieren, also auch unseren, eingreifen und ihn stören. Wohl nicht nur Säugetiere, die forschen auch an Zebrafischen und Würmern.

Die Folgen können sehr vielgestaltig sein, je nachdem, welches Hormon betroffen ist.

Viele endokrine Disruptoren besitzen Strukturähnlichkeiten mit Hormonen und können deshalb an ihre Rezeptoren binden. Sie tun das sehr viel schwächer als das eigentliche Hormon. Aber sie sind sehr stabil und quasi unverwüstlich. Manche nennt man „Ewigkeitschemikalien“.

Jede einzelne Chemikalie wird selbstverständlich auf ihre Unbedenklichkeit überprüft. Aber kaum jemand interessiert sich dafür, was passiert, wenn mehrere von ihnen aufeinander treffen. Dann entsteht ein Cocktail-Effekt und die Unbedenklichkeit schrumpft dahin.

Was bewirken endokrine Disruptoren?

Oft sind Sexualhormone das Ziel. Das kann dazu führen, dass Mädchen immer früher Geschlechtsreife erreichen. Bei Jungen kommt es zu Missbildungen der Geschlechtsorgane und Unfruchtbarkeit.

Manche Krebsarten werden begünstigt, wie Brust-, Prostata- und Hodenkrebs.

Auch die Bauchspeicheldrüse wird oft angegriffen. Störungen im Glucosestoffwechsel bis hin zu Insulinresistenz und Díabetes können die Folge sein. Der Fettstoffwechsel kommt kommt auch nicht ungeschoren davon. So können endokrine Disruptoren zu Fettstoffwechselstörungen und Übergewicht führen. Am Ende macht uns nicht das Würstchen dick, sondern die Folie, in die es eingeschweißt ist? Bei Diabetes und Übergischt ist das metabolische Syndrom nicht weit. Und dann stehen noch Allergien und Autoimmunerkrankungen auf der Liste.

Kleinkinder und Ungeborene sind eine besonders gefährdete Gruppe. Sie nehmen oder nahmen in der Vergangenheit oft überdurchschnittlich viele endokrine Disruptoren zu sich. Viele sind jetzt verboten. Mit ein bisschen Pech wurden sie aber durch ähnliche Verbindungen ersetzt, die ähnliche Eigenschaften besitzen, aber im schlimmsten Fall nicht ausreichend geprüft sind. Die Fachwelt nennt sie regrettable substitutes – bedauerlichen Ersatz.

Während der Schwangerschaft können endokrine Disruptoren über den Blutkreislauf und die Plazenta in den Stoffwechsel des Fötus geraten. EDCs können die Entwicklung stören.

Im schlimmsten Fall hat das epigenetische Folgen. Das bedeutet, dass die Erbsubstanz in ihrer Sequenz zwar nicht verändert wird, durch Veränderungen an der DNA oder assoziierten Proteinen können Gene aber dauerhaft an- oder abgeschaltet werden. Damit wird die Wirkung auf die nächste Generation übertragen. Das Neugeborene schon hat irgendwelche Probleme an der Backe, noch bevor es seine erste Folgemilch aus der Plastikflasche schlürft.

Wo trifft man auf endokrine Disruptoren?

Weil sie so reaktionsträge sind, reichern sich EDCs an und man kann ihnen kaum aus dem Weg gehen. Sie sind in Luft, Wasser und Boden schon längst angekommen. Tausende Chemikalien sind zugelassen. Und die Hersteller müssen ihre geheimen Rezepturen nicht preisgeben. Ist ja schließlich Wettbewerb. Die Leute, die Kunststoffe recyceln wollen, haben damit große Schwierigkeiten.

Endokrine Disruptoren stecken in Alltagsgegenständen aus Kunststoff, Geschirr, Vorratsgefäßen, Kunststoffgehäusen von Elektrogeräten, Spielzeug, Textilien, Kosmetika, Pestiziden und nicht zuletzt Lebensmittelverpackungen. Sie werden über die Haut oder oral in den Körper aufgenommen. Dort bleiben sie dann auch, reichern sich an und verrichten ihr Werk.

Bisphenol A

Bisphenol A verbessert die Flexibilität und Haltbarkeit von Kunststoffen. Es kommt oder kam auch in Lebensmittelverpackungen zum Einsatz, zum Beispiel als innere Beschichtung von Konservendosen. Ab Ende 2024 darf es nicht mehr in Lebensmittelverpackungen verwendet werden.

Es steckt aber in vielen anderen Produkten, von Toner über Thermopapier, Spielzeug, elektronischen und medizinischen Geräten, Zahnversiegelungen, Flammschutzmitteln und wird in der Automobilindustrie verarbeitet.

Es aktiviert Östrogenrezeptoren, Glucocoricoidrezeptoren und PPARγ. Glucocorticoidrezeptoren führen im Glucosestoffwechsel zur Synthese von Glucose und Glycogen. PPARγ ist ein Transkriptionskfaktor, ein Protein, das die Aktivität von Genen steuert. Er ist im Fettstoffwechsel aktiv und fördert die Differenzierung von Fettzellen. Bei 90 % der Menschen lässt sich Bisphenol A im Urin nachweisen.

Per- und polyfluorierte Chemikalien (PFAS)

Das sind die Ewigkeitschemikalien. Sie bestehen aus Kohlenstoffgerüsten, die mit Fluor verknüpft sind, wo in einer „normalen“ Kohlenstoffverbindung Wasserstoff sitzt. Diese Bindungen sind sehr dtabil und verleihen daher den Verbindungen ihr ewiges Leben. Deswegen werden wir sie auch nicht so schnell los, obwohl sie allmählich aus dem Verkehr gezogen werden.

PFAS sind fett- und wasserabweisend. Man verwendet sie in Verbrauchsgegenständen, Antihaftbeschichtungen (Teflon), Kosmetikartikeln, Pestiziden. In Lebensmittelverpackungen aus Pappe verhindern sie das Durchweichen. Also bitte nicht freuen, wenn das Schlemmerfilet oder der Spinat „nackt“ in einer Kartonage liegt. Ziemlich sicher ist die beschichtet.

Über Plazenta und Muttermilch können sie von der Mutter aufs Kind übertragen werden.

Phthalate

Phthalate sind die Weichmacher in Kunststoff. Sie stecken in Plastikflaschen und Lebensmittelverpackungen. Außerdem in Klebstoffen, Reinigungsmitteln, Körperpflegeprodukten wie Seife, Shampoo oder Nagellack. Sie sind nur schwach an das begleitende Polymer, den eigentlichen Kunststoff, gebunden und werden deshalb leicht freigesetzt. Sie haben östrogene und antiandrogene Wirkung, verzögern die Entwicklung des männlichen, beschleunigen die Reifung des weiblichen Geschlechts.

Parabene

Parabene sind Konservierungsstoffe in Lebensmitteln, Kosmetika und Medikamenten. Sie wirken ähnlich wie und taucehn oft zusammen mit Phthalaten auf. Unser Körper absorbiert sie problemlos.

Benzophenone

Benzophenone wirken östrogen. In den USA sind sie wohl als Nahrungsmittelzusatz weit verbreitet. Hierzulande dienen sie als UV-Filter in Sonnencremes und ähnlichen Produkten. Außerdem wird es in bedruckten Kartonagen eingesetzt und können auch in unbedruckten Kartons enthalten sein, wenn diese aus Recyclingmaterial hergestellt sind.

Organozinn

Organische Zinnverbindungen werden unter anderem in Holzschutzmitteln, Katalysatoren und eben als Kunststoffzusatz verwendet. Wegen seiner Ökotoxizität ist der Verbrauch rückläufig.

Diese Verbindungen binden stark an die Regulatoren PPARγ und RXR, die für die Differenzierung von Fettzellen eine wichtige Rolle spielen. Damit tragen sie vermutlich zur Entstehung von Fettleibigkeit bei.

Perchlorate

Perchlorate werden unter anderem in Feuerwerkskörpern und Lebensmittelverpackungen verwendet. Im Stoffwechsel hemmen sie die Aufnahme von Iod in der Schilddrüse und können so einen Mangel an Schilddrüsenhormonen hervorrufen. Das kann die Entwicklung des Nervensystems beeingträchtigen.

Wie kann man EDCs vermeiden?

Wahrscheinlich gar nicht, sie sind schon überall. Aber man kann trotzdem versuchen, ihnen in Zukunft ais dem Weg zu gehen.

Lebensmittelverpackungen sind wohl eine wichtige Quelle für endokrine Disruptoren. Also sollt man in Kunststoff oder Metall verpackte Lebensmittel meiden und frische, unverpackte Ware bevorzugen. Die endokrinen Disruptoren werden hauptsächlich über direkten Kontakt übertragen. Das funktioniert mit ein bisschen Wärme viel besser.

Deshalb sollten Getränke in Kunststoffflaschen nicht unnötig der Hitze ausgesetzt werden, zum Beispiel im Kofferraum an einem heißen Sommertag.

Aus dem gleichen Grund sollten Plastikgefäße nicht in der Mikrowelle erwärmt werden. In den Geschirrspüler sollten sie auch nicht. Und auch nicht in den Tiefkühler. Und bitte keine heißen Getränke aus Plastikbechern. Vermutlich auch nicht aus beschichteten Pappbechern, aber das stand da nicht ausdrücklich. Sous-vide-Garen steht damit ebenfalls auf der Liste der verbotenen Aktivitäten. Schade, denn es schmeckt wirklich sehr, sehr lecker. Niedrigtemperaturgaren im Ofen ist aber eine gute Alternative.

Und jetzt leider kein Gag: Teflonpfannen sind sicher – wenn sie nicht stark erhitzt werden. Das ist gut, die werden beim Braten ja auch nur lauwarm. Man soll sie außerdem niemals ohne Inhalt erhitzen.

Es ist wohl schon ein paar Jahre her, da ging eine große Panik vor Schadstoffen aus Kunststoffen durchs Land. Plötzlich waren manche Lebensmittel wieder in Glas verpackt, auch die Küchenkram-Vorratsdosen waren wieder aus Glas. Mittlerweile ist das Plastik wieder zurück. Wir haben es schon wieder vergessen. Aber wir können nix dafür. EDCs schaden schließlich auch dem Gehirn.

Quellen:

de Paula LCP, Alves C. Food packaging and endocrine disruptors. J Pediatr (Rio J). 2024 Mar-Apr;100 Suppl 1(Suppl 1):S40-S47. doi: 10.1016/j.jped.2023.09.010. Epub 2023 Oct 29. PMID: 37913820; PMCID: PMC10960186.

Mitra T, Gulati R, Ramachandran K, Rajiv R, Enninga EAL, Pierret CK, Kumari R S, Janardhanan R. Endocrine disrupting chemicals: gestational diabetes and beyond. Diabetol Metab Syndr. 2024 Apr 26;16(1):95. doi: 10.1186/s13098-024-01317-9. PMID: 38664841; PMCID: PMC11046910.

Morales-Grahl E, Hilz EN, Gore AC. Regrettable Substitutes and the Brain: What Animal Models and Human Studies Tell Us about the Neurodevelopmental Effects of Bisphenol, Per- and Polyfluoroalkyl Substances, and Phthalate Replacements. Int J Mol Sci. 2024 Jun 23;25(13):6887. doi: 10.3390/ijms25136887. PMID: 38999997; PMCID: PMC11241431.

Foto: Pixabay / EKM-Mittelsachsen

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