Niedrigtemperaturgaren – der sanfte Hammer

In unserer hektischen Zeit ist Entschleunigung ein Zauberwort und wenn es um die Zubereitung von Fleisch geht ein absolut guter Rat. In jüngerer Zeit ist deshalb die etwas in Vergessenheit geratene Niedrigtemperaturgaren wieder in Mode gekommen.

Niedrigtemperaturgaren ist eine Technik, bei der viel Zeit und wenig Hitze aufgebracht wird. Das Ergebnis ist zartes, butterweiches Fleisch. Und es verlässt den Ofen genauso groß wie es hineingeschoben wurde, denn der Saft bleibt im Fleisch.

Das Gargut bekommt im Ofen viel, sehr viel Zeit. Mehrere Stunden bei Temperaturen unter dem Siedepunkt. Und der Braten wird saftig, zart, butterweich und einfach köstlich.

Egal ob Roastbeef, Schweinebraten, Geflügel– jedes Fleisch ist für die Niedrigtemperaturmethode geeignet. Auch oder vor allem bindegewebsreiche Stücke, die sonst eher im Schmortopf landen würden.

Der Sonntagsbraten

Fleisch ist ein komplexes Gefüge aus verschiedenen Eiweißstoffen (Proteinen), Wasser und Fett. Die Proteine bilden einerseits die Muskelfasern, die wir als eigentliches Fleisch wahrnehmen, andererseits das Bindegewebe aus Kollagen, dass die Muskelfasern umgibt. Das ganze ist noch mit reichlich Wasser umgeben.

Zart wird das Fleisch beim Garen, wenn das Kollagen sich bei etwa 70°C in Gelatine umwandelt. Saftig, wenn man nicht zulässt, dass die Proteine vollständig gerinnen und das Gewebewasser austritt.

Bei herkömmlichen Garmethoden und Temperaturen um die 200°C und mehr wird das Fleisch nur außen einer hohen Temperatur ausgesetzt. Es bildet sich ein starkes Temperaturgefälle. Bis auch im Innern die optimale Kerntemperatur erreicht ist, sind die äußeren Schichten bereits trocken und zäh, weil das Eiweiß vollständig geronnen und alle Gewebeflüssigkeit entwichen ist.

Niedrigtemperaturgaren: was ist anders?

Bei der Niedergarmethode wird das Fleisch viele Stunden bei einer Temperatur von etwa 80°C gegart. Dadurch bleibt genügend Zeit, so dass sich die Temperatur gleichmäßig im Braten verteilen kann. Das feste Kollagen hat alle Zeit der Welt sich in weiche Gelatine zu verwandeln. Der Braten wird nirgends überhitzt und der Fleischsaft bleibt da, wo er ist.

Der einzige Nachteil: Es bilden sich keine Röstaromen und Farbstoffe. Die entstehen in der Maillard Reaktion, die aber erst bei höheren Temperaturen von etwa 150°C abläuft. Dem kann man abhelfen, indem man das Fleisch kräftig in der Pfanne anbrät, bevor es in den Ofen kommt. Oder auch, nachdem es aus dem Ofen kommt. Das nennt man dann Rückwärtsbraten.

Normalerweise führt man beim Braten dem Gargut sehr viel mehr Energie in Form von Hitze zu als es eigentlich bräuchte und man muss den Garpunkt zeitgenau beenden. Beim Niedertemperaturgaren ist die Gardauer nicht so wichtig, denn alles geht sehr langsam. Vor allem, wenn die Temperatur nahe am Garpunkt liegt. Man holt den Braten aus dem Ofen, wenn die gewünschte Kerntemperatur erreicht ist. Deshalb gehört ein Fleischthermometer auch zu den Essentials beim Niedrigtemperaturgaren.

Tipp: Der Erfolg beim Niedergaren hängt stark vom Fleischthermometer ab. Schließlich ist es unsere einzige Chance etwas über de aktuelle Kerntemperatur des Bratens zu erfahren. Hier lohnt sich sparen nicht. Ein analoges Fleischthermometer ist ein gute Wahl. Nur muss man selbst Acht geben, wann der Braten gar ist. Bei langen Garzeiten kann man das leicht verpassen.

Größere Sicherheit bieten digitale Fleischthermometer, die Alarm geben, wenn der Braten gar ist.  Sie bestehen aus einer Sonde und einem Messgerät, dass nicht hitzbeständig ist und nicht mit in den Ofen darf.

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Speziell für das Niedrigtemperaturgaren sollte man die Ofentemperatur zusätzlich mit einem Ofenthermometer kontrollieren. Herkömmliche Elektroherde sind nicht für das Niedergaren konzipiert und nehmen es bei Temperaturen unter 100°C oft nicht so genau. Ofenthermometer sind oft schon in das Fleischthermometer integriert.

Schritt für Schritt zum Niedrigtemperaturbraten

  • Fleisch auswählen

Egal ob Braten, Schmorfleisch oder Kurzgebratenes, grundsätzlich ist jedes Fleisch geeignet. Gute Qualität liefert gute Ergebnisse.

  • Gardauer bestimmen

Die Gardauer richtet sich nach Art und Volumen des Fleisches und der gewünschten Garstufe. Die Gardauer ist quasi das Produkt dieser Parameter. Je größer und bindegewebsreicher das Fleisch ist, desto länger muss es gegart werden. Zarte Stücke brauchen weniger gegart werden. Wer es blutig liebt, zieht etwas Zeit ab, wer es gut durch mag verlängert die Gardauer. Nach einer groben Schätzung kann man von zwei Stunden Gardauer pro Kilo Fleisch ausgehen. Dann hat es eine Kerntemperatur von etwa 60°C und ist meist medium durch. Die Gardauer hängt aber nicht nur vom Gewicht, sondern auch von der Form des Gargutes ab. Flache Stücke haben eine größere Oberfläche, durch die die Wärme eindringen kann. Wenn es ins Detail geht, zieht man am besten eine Tabelle mit Kerntemperaturen zu Rate.

  • Anbraten

Es ist nicht schlecht, auch das Fleisch vor dem Anbraten auf Raumtemperatur zu erwärmen. Dann wird es in hitzbeständigem Fett, zum Beispiel Butterschmalz, in einer Pfanne scharf angebraten, bis sich Röstaromen und eine Kruste gebildet haben. Nach dem Anbraten das Fleisch aus der Pfanne nehmen und würzen aber nicht salzen, damit dem Bratstück nicht so viel Flüssigkeit entzogen wird.

Das Fleischthermometer muss in die dickste Stelle gesteckt werden und darf keine Knochen berühren. Knochen sind kein Fleisch und erhitzen sich schneller. Das verfälscht die Messung und man holt den Braten zu früh aus dem Ofen.

  • Ab in den Ofen

Das Fleisch wird dann in einem vorgewärmten Bräter  aus Porzellan oder Steingut im vorgeheizten Ofen ohne Deckel gegart. Das Bratgeschirr sollte Ofentemperatur haben. Die Pfanne von Anbraten sollte man nicht verwenden, denn sie ist wahrscheinlich noch zu heiß.

Slow Cooker

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Wer Eintopf oder Schmorgerichte mit der Niedrigtemperaturmethode zubereiten möchte, kann einen Bräter direkt in den Backofen geben. Energie sparender ist es allerdings, einen Slow Cooker oder Schongarer zu verwenden. Diese Geräte bestehen aus einem Heizelement und einem ofenfesten Topf. In ihnen lassen sich, ähnlich wie in einer Kochkiste, Gerichte bei niedriger Temperatur und mit viel Zeit zubereiten.  Leider verfügen sie oft nur über wenige festgelegte Gartemperaturen, sonst wären sie auch gut für das Sous Vide Garen geignet.

Wie alles begann

Niedrigtemperaturgaren ist ein total alter Hut. Das gibt es schon mindestens 200 Jahre, denn so lange ist sein Entdecker, Sir Benjamin Thompson, Graf Rumford, schon tot. Er war ein Allroundtalent, aktiv als Offizier, Politiker, Experimentalphysiker und Erfinder. Und er entdeckte ganz zufällig, wie lecker bei Niedertemperatur gegartes Fleisch schmeckt, nachdem er eine Hammelkeule in einer Trockenkiste für Kartoffeln vergessen hatte.

Hoch leben die schusseligen Wissenschaftler. Das Beste wird doch meist nur durch Zufall entdeckt.